Eins. Zwei. Drei.
„Kommt, wir bauen eine Kapelle!“
Vor 10 Jahren, am 17. August 2012, wurde die Kapelle
in Mark Zwuschen eingeweiht. Es war in gewisser Weise eine Sensation: Lagen doch
die letzten Kirchenbauten in unserer Gegend mehr als 100 Jahre zurück. Und war
nicht gerade Mark Zwuschen einen deutlich anderen Weg gegangen: Neu begründet
nach 1945, mit dem Bruch auch alter Traditionen?
Nun
sind es – wer hätte das gedacht, nach 10 Jahren schon drei Kapellen: 2016 in
Listerfehrda eine „Kapelle der Begegnung“, 2020 in Seyda die „Kapelle zum Guten
Hirten“ auf dem Diest-Hof.
„Hier kann man noch mit
den Erbauern sprechen!“ – das stellten zuerst Studenten des Valpariso
University Chorale aus der Nähe von Chicago fest, die auf ihren Tourneen in so
vielen großen Kirchen sangen. Der Dirigent, Christopher Cock, war jedes Mal
verzückt über die kleine Kapelle – er stellte fest, dass sie zuhause in einem
der größten Kirchengebäude der USA singen – in seinem „office“ aber hat der
Bilder der Kapelle Mark Zwuschen aufgehängt.
Wie begann es? Die Idee war nicht von mir, bei allen
drei Kapellen nicht. Mein Amtsbruder aus dem Südosten würde sagen: „Du hast
Dich nicht genug dagegen gewehrt.“ Der aus dem Norden „Es ist eben an Dir so
geschehen.“
Die
Idee, in Mark Zwuschen ein Gotteshaus zu bauen, ist tatsächlich schon älter.
Zunächst war es ja schon in der Reformationszeit eine „wüste Mark“, und dann
lange Zeit nur Ort einer Schäferei. Freilich, von großer Bedeutung für die
Superintendentur und später „Oberpfarre“ in Seyda, denn die ganze Feldmark
gehörte der Kirche. Jedoch war es dem Pfarrer zu Beginn des 20. Jahrhunderts
leid, die Pachtverhandlungen zu führen. Die Bauern aus Seyda beschwerten sich,
für den langen Weg hinauf nach Mark Zwuschen auch noch bezahlen zu sollen. So
gab es die große Idee, das Land zu verkaufen und das Geld in Aktien anzulegen.
Dies geschah 1908, für 107.000 Reichsmark – vielleicht auch deshalb, weil 1907
noch Kohlevorkommen vermutet worden waren – ein sehr großes Vermögen. So floss
das Geld „von alleine“. Aber nicht lange. 1923, in der Zeit der Inflation, war
alles verloren. Die Seydaer waren bisher sehr verwöhnt gewesen: Sie brauchten
zur Unterhaltung von Kirche und Pfarrhaus fast nichts beitragen – durch die
großen Pachteinnahmen. Die Seydaer Pfarrstellen gehörten zu den
bestbezahltesten in ganz Mitteldeutschland. Aber nun wurde das anders. Mark
Zwuschen hat damit unmittelbar zu tun.
Das
schöne Gutshaus im Jugendstil wurde durch den neuen Besitzer gebaut – und da
nicht alle etwas von Landwirtschaft verstanden, gab es da auch Wechsel. Zum
Schluss war ein Herr Norte Gutsbesitzer, der recht moderne Methoden einführte,
etwa bei der Bewässerung, und der auch im Krieg freundlich mit den
„Fremdarbeitern“ umging. Er dachte deshalb, nicht fliehen zu müssen, und ist in
einem Lager 1945 umgekommen.
Mit
der Bodenreform 1946 bekamen in Mark Zwuschen aus dem alten Gutsland viele
Familien, die ihre Heimat durch den Krieg verloren hatten, eigenes Land. Das
Dorf wurde planmäßig gebaut, noch heute kann man die Anlage der Siedlungshäuser
um das alte Gutshaus herum gut nachverfolgen. Und die da kamen, waren zum
großen Teil fromme Leute – obwohl oder vielleicht gerade, weil sie so viel
Schlimmes erlebt hatten. Im Protokoll des Gemeindekirchenrates Morxdorf ist
unter dem 1. Mai 1949 lesen:
„Punkt
1: Gründung der Kirchengemeinde Neuheim. Der Gemeindekirchenrat nimmt Kenntnis,
dass der bisherige Ortsteil Zwuschen demnächst eine politisch selbständige
Gemeinde mit dem Namen Neuheim wird. Da in Neuheim, das ca. 3 ½ km von Morxdorf
entfernt ist, ca. 30 evangelische Familien wohnen, die ihre kirchliche Treue
durch guten Besuch der Gottesdienste in Morxdorf und hervorragende Ergebnisse
bei den Hauskollekten unter Beweis gestellt haben, besteht der Wunsch, eine
selbständige Kirchengemeinde zu schaffen, um den Gemeindegliedern günstigere
Möglichkeiten für die Pflege ihres Gemeindelebens zu bieten und die 3 ½ km
betragende Entfernung nach Morxdorf auszuschalten. Die Gemeindeglieder Neuheim
erklären sich bereit, der Kirchengemeinde den Baugrund für eine ihren
Bedürfnissen entsprechende Kirche zu überlassen und selbst tatkräftig beim Bau
der Kirche mitzuwirken. Der Gemeindekirchenrat beschließt einstimmig, diesen
Antrag zu genehmigen u. zu unterstützen, zumal zwischen den politischen
Gemeinden Morxdorf u. dem zukünftigen Neuheim eine Einigung über die
Baulastenverteilung an der Oberpfarre Seyda erzielt ist.
v(orgelesen)
g(esehen) u(nterschrieben)
Schlüter,
Kapphammel, Hermann Schulz, August Gresse.
geschl(ossen)
Hagendorf“.
Ähnliche
Beschlüsse gibt es vom gleichen Tag aus Mellnitz und 3 Tage später aus Seyda.
Es kam dann alles ganz anders. Ein paar Jahre fehlen
im Protokollbuch… Mark Zwuschen sollte ein sozialistisches Dorf werden. Da war
kein Platz mehr für eine Kirche. Pfarrer Hagendorf hatte Streikführer vom 17.
Juni 1953 aus Bitterfeld versteckt – und war danach inhaftiert worden. Die
Kirche schien auf der Seite der alten Machthaber zu sein.
Max
Priedigkeit war aus Ostpreußen nach Mark Zwuschen gekommen. Er baute 1953 an
einem Pumpenhäuschen. Er erzählte mir, wie plötzlich eine schwarze Limosine
vorfuhr und Männer in schwarzen Lederjacken ausstiegen. „Leg die Kelle weg! Du
baust hier eine Kirche! Das wollen wir nicht.“ Es hat wohl länger gedauert, bis
er die Gäste davon überzeugen konnte, dass er keine Kirche bauen wollte.
Licht auf die folgenden Jahrzehnte brachte eine
Versammlung in Mark Zwuschen, wo es um die Gestaltung der Türen der Kapelle
gehen sollte: Welche biblischen Geschichten könnten da dargestellt werden?
Welche sind uns selbst wichtig, und welche wollen wir an die nächsten
Generationen weitergeben? Es gab Entwürfe, und ich fing fröhlich an, zu
erzählen. Doch schon nach der zweiten wurde ich unterbrochen: „Wir kennen doch
die Geschichten. Wir hatten doch Christenlehre!“ Tatsächlich, der alte Diakon
Solbrig aus Seyda, so hörte ich, fuhr zu gern nach Mark Zwuschen. Schon eine
Stunde vor Unterrichtsbeginn bekam er einen großen Teller Schnitten – das war
bei dem schmalen Gehalt, was er hatte, ein guter Grund, früh zu kommen. Und
dann fand die Christenlehre statt – in Mark Zwuschen, im Haus des
„Abschnittsbevollmächtigten“, dem Ortspolizisten, den damals jeder Ort hatte.
Seine Schwiegermutter war sehr christlich und hatte das durchgesetzt. Und so
wurden aus Mark Zwuschen zwar nur wenige getauft und konfirmiert, aber die
Christenlehre ist doch von vielen besucht worden.
Ein
wichtiger Mosaikstein, dass es nicht einfach Schwarz und Weiß gab und gibt…
Es
ist jedenfalls auch zu beobachten, dass es in den 50iger Jahren noch einmal
Bewegungen gab: Etliche zogen weg, in den Westen – sie hielt hier nicht viel,
hatten sie doch ihre eigentliche Heimat verloren – und andere, die den neuen
Weg mitgehen und gestalten wollten, kamen. Aber auch sie brachten ihre
Traditionen und oft auch ein Stück ihres Glaubens mit. Da gab es eine Frau, die
bis ins hohe Alter die „Frohe Botschaft“ las, eine fromme Zeitung, die es auch
in DDR-Zeiten gab – und ihr Mann hielt gleichzeitig „weltanschauliche“ Vorträge
ganz im Sinne der DDR.
Ganz
persönlich habe ich das dann bei Kinderkirchenferientagen, also einem
Zeltlager, was wir 1998 in Mark Zwuschen haben konnten, erlebt. Wir bekamen alles,
was wir brauchten: Im Gutshaus war ein alter Kindergarten gewesen – also gab es
reichlich Waschgelegenheiten, ein altes NVA-Zelt ergänzte den Raumbedarf, und
die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung bei „Dorfspiel“ und Kuchenbacken – auch
für 25 zusätzliche Gäste aus Polen – war groß. Auch eine Wanderleitung stand
zur Verfügung, wir wanderten nach Gielsdorf, wo wir unter der sich drehenden
Mühle Nudelsuppe bekamen – und unterwegs wurde mir von dem alten
Militärflughafen Mark Zwuschen erzählt. „Ja,“ sagte ich, „irgendwie kommt mir
das bekannt vor – mein Großvater war bei der Luftwaffe, und es könnte sein,
dass er hier auch gelandet ist.“ – „Ja, da haben Sie doch bestimmt noch ein
Papier von damals, wo Mark Zwuschen vorkommt! Das wäre doch interessant für unser
Heimatmuseum!“ – „Ja – aber ob ich das möchte, dass mein Großvater Meinhof hier
auf solche Weise genannt wird…“ – Ja, es ist nicht einfach mit der Geschichte.
Man muss ihr offen begegnen und von der Vergebung wissen, von der man selbst
lebt. Eine wichtige Botschaft, die durch die Kapelle transportiert werden kann.
Bei
jenem Kinderzeltlager schufen wir schon mal eine Kapelle – denn wir brauchten
ja eine. Thema war die Arche Noah, und so bauten wir uns eine „Arche“ wie eine
Kirche, mit Wänden aus Bettlaken, Gestühl aus Bänken, einem Glockengeläut aus
einem alten Entsafter – mehrstimmig! – und einem schön geschmückten Altar. Das
Holzkreuz, von Meister Schudde aus Seyda gebaut, ist heute noch im Gemeinderaum
in Seyda zu sehen.
Und dann kam das Jahr 2007. Zum Neujahrsgottesdienst in Seyda hörten
wir die neue „Jahreslosung“: Gott spricht: „Siehe, ich will ein Neues schaffen,
jetzt wächst es auf: Erkennt Ihr es nicht?“ Die Frage war klar: Was ist nun das
Neue? Es war ja nur eine kleine Runde zusammen, am Neujahrsmorgen, nach dem
Gottesdienst stießen wir mit Sekt an, und einer meinte: „Klar. Mark Zwuschen
braucht eine Kapelle. Ich würde ein Stück Land hergeben.“ Das war Frank
Hellner, der mit seiner Familie gerade ein Stück der „alten LPG“ in Mark
Zwuschen erworben hatte und meinte: „Bedingung wäre, dass ich einen Schlüssel
bekomme.“
Damit
war der Gedanke in der Welt.
Am
3. Januar las ich in der Zeitung, dass in Ost-Berlin die erste Moschee gebaut
werden sollte. Was war dazu zu sagen? Oder was war zu tun? Ganz klar: Die beste
Antwort war: Selbst eine Kapelle bauen.
Ich
musste später manchmal schmunzeln, wenn jemand fragte: „Wie weit ist es denn
mit Eurer Moschee?“ – weil es überhaupt nicht denkbar war, eine neue Kirche zu
bauen – aber Moscheen entstanden nun überall im Land.
Zum
traditionellen Neujahrsbesuch beim Jessener Bürgermeister wunderte ich mich.
Wusste er Bescheid? Er erzählte mir sehr ausführlich, dass der Feldweg von
Seyda nach Mark Zwuschen demnächst ausgebaut werden solle, die Mittel der Stadt
seien bereits eingestellt…
Am
31. Januar 2007 wurde die Idee im Morxdorfer Gemeindekirchenrat beraten. Mark
Zwuschen gehört zur Kirchengemeinde Morxdorf. Es gab eine positive Resonanz.
Kostenschätzungen sollten eingeholt werden.
Im
Februar 2007 legte Bauingenieur Werner Leonhardt aus Ruhlsdorf, dort
Kirchenratsvorsitzender, einen Entwurf vor: Rechteckig, mit Vorbau. Die erste
Zeichnung! Dazu kamen Kostenangebote von verschiedenen Firmen.
Zum
Geburtstag im April bekam ich einen Entwurf von Zimmermeister Werner aus
Gadegast auf den Tisch. Dazwischen hatte ein Traum gelegen.
Ich hatte Meister Otto Werner gefragt, wie weit denn
ein Balken frei tragen kann – und er hatte von 5 Metern gesprochen. Ich war ein
wenig enttäuscht, denn damit schienen die Möglichkeiten ja sehr begrenzt. 5 mal
5 Meter…
Ich
war zu Besuch bei meinen Eltern in Heiligenstadt – und wachte mitten in der
Nacht um drei Uhr auf: „Das ist es!“ Gleich machte ich das Licht an und
skizierte es: Wenn man einen Kreis von 7 Meter Durchmesser nimmt, dann kann man
die Balken im Quadrat darin 5 Meter herüberlegen… Die Idee für den runden Bau
war geboren.
Nun ging aber zunächst um die Standortfrage. Markus
Hellner meinte, am Ende der Straße – und damit von weitem sichtbar, das wäre
doch gut. Tatsächlich war da ein schmaler Weg auf der Landkarte eingezeichnet,
den es schon lange nicht mehr gab und der die gerade Wegführung
fortsetzte. Und dieser Weg gehörte der
„Treuhand“, wie man sagte, der „BVVG“, eine Frau Abraham vom Amt bestätigte mir
das. Also ging ich zu Seydaland, mit wenigen Klicks zeigte mir Herr Fromm am
Computer die Flächen. Der Gedanke war, diesen Weg zu erwerben und dann mit
Seydaland zu tauschen – so dass auf der Spitze des Landes die Kapelle stehen
könnte. „Ja, wenn es keine Kathedrale wird.“ meinte er lächelnd.
Im
Mai 2007 war die Bauamtsleitung der Stadt Jessen vor Ort und sicherte
Unterstützung zu, es gab eine Bestätigung über den Standort an der Kreuzung,
also etwa 10 Meter von dem jetzigen entfernt.
Aber
es war doch nicht so einfach, schon mit einem potentiellen Stromkabel über die
Straße…
Schließlich
kam Familie Bozinovski dazu. „Ich weiß, wie man das macht! Wir haben das in
Mazedonien öfter. Jeder muss etwas beitragen, dann wird es! Wir stiften das
Land!“ Wir durften uns sogar die Größe aussuchen… Doch das kam erst später.
Eine Kapelle für Mark Zwuschen – ja, und auch für
die Heide, und für die Radfahrer. Im Oktober 2007 kam ein Projekt zum Abschluss
und wurde gefeiert: Die Radwegverbindung von Elberadweg und FlaemingSkate über
Seyda, der „Seyda-Elbe-Radweg“, war fertig ausgeschildert und damit in der
Folge in die deutschlandweiten Radfahrkarten eingetragen. Wir hatten uns extra
an alle Vorschriften der Standardisierung gehalten, viele solche
Geschichtsheftchen sind dafür geschrieben und verschenkt worden (und eine
entsprechende Spende zurückgekommen, denn es brauchte am Ende 6.000 Euro). Eine
geniale Idee, vom Sproß der alten Müllerfamilie aus Naundorf, dass es eben nur
14 Kilometer sind bis zur Elbe. Wir fuhren in der Folge zur ITB – „Internationale
Tourismus-Börse“ nach Berlin und warben zwischen Frankreich und Indien für
unseren Radweg und unsere Gegend. Wir kamen in den entsprechenden Flyer – auch
die Kapelle wurde später eingezeichnet –
und es ist nun tatsächlich die kürzeste Radwegverbindung zwischen Berlin und
Dresden – wenn sie auch immer noch nicht befestigt ist!
Im
Kalender des Pfarrbereichs für 2008 erschien dann schon einmal ein Bild des
Entwurfes, im Dezember 2007 wurde ein Antrag auf Vorbescheid beim Landkreis
gestellt. Es gab eine längere Verhandlungsphase. Ich lernte, dass Kirchen nur
in Dorfmittelpunkten gebaut werden dürften. „Und wie ist es in katholischen
Gegenden, da stehen doch Kapellen auch mitten im Wald!“ – „Ja, aber wir sind
hier keine katholische Gegend…“ – Als ich nun zum wiederholten Male da war,
rief die Mitarbeiterin ein Luftbild auf und fragte: „Also wohin, sagen Sie doch
noch einmal…“ Auf dem Bild waren noch Dächer auf den Scheunen, offensichtlich
schon etwas älter… „Also, wenn sie noch 5 Meter herübergehen, da könnte man ja
sagen, es ist wenigstens angrenzend zur Bebauung…“ – So bekamen wir den „grünen
Stempel“, und nicht nur hier hatte ich den Eindruck, dass die Leute dachten:
Das schaffen die sowieso nicht, da eine Kapelle zu bauen… - da können wir ja
zusagen.
Und
so sagten viele im Vorfeld zu, die alten Gleichnisse vom „Hören“ und vom „Tun“
kamen dann wieder zum Vorschein; mancher, der erst zögerlich war, tat dann viel
mehr als die anderen.
Im Juli 2008 gab es eine denkwürdige Versammlung auf
der Wiese, wo jetzt die Kapelle steht. Bierzeltgarnituren waren im Kreis
aufgestellt, und es gab sechs verschiedene Entwürfe – und eine einmütige
Entscheidung für den einen.
Das
Baubüro Eule wurde mit der Entwurfsplanung und der Kostenschätzung gemäß des
Gemeindekirchenratsbeschlusses aus Morxdorf beauftragt. Im September 2008 gab
es eine ausführliche Vorstellung im Gemeindekirchenrat Seyda – wie damals, 1949
– mit dem Beschluss, die Kapelle als „Gemeindeprojekt“ zu unterstützen. Eine
Vorstellung in Morxdorf führte zu dem Vorschlag, es doch der Kirchengemeinde
Seyda zu übertragen. Im Oktober beschloss der Seydaer Kirchenrat dann, das
GemeindeAufbauProjekt anzunehmen und zu starten. Entsprechend wurden wie auch
sonst bei Baudingen üblich ein Antrag an den Kirchenkreis gestellt und eine
Baugenehmigung beim Landkreis beantragt.
Es
gab dann kontroverse Diskussionen, auch in einer gemeinsamen Sitzung der
Gemeindekirchenräte des Pfarrbereichs. Es war durchaus etwas Neues,
Ungewöhnliches, Noch-Nicht-Dagewesenes – und der Druck, den der Kirchenkreis
hat mit „Baulasten“ und sehr vielen, zum Teil baufälligen Kirchen, stand
dahinter. Noch eine Baulast? Noch eine Predigtstelle? Das schien aus dieser
Sicht überhaupt nicht vernünftig zu sein.
Es ging um die Frage: Was wollen wir? Und es kam
heraus, dass es am Ende nicht um die Steine geht, sondern um die Gemeinschaft.
Das Evangelium wagen, ihm die Zukunft zu glauben, dass wir diesen Ruf nach
Frieden, nach Vergebung, nach Liebe brauchen – und auch unsere Mitmenschen
hier.
„Lohnt
sich das?“ Oder: „Hat sich das gelohnt?“ – kann man nach 10 Jahren fragen, und
natürlich manche Feier, manche Taufe aufzählen. Denken muss ich dann an den
Grafen Zinzendorf, der seine Bauern losschickte zur Mission an die Enden der
Erde, gerade dahin, wo die anderen nicht hingingen, zum Beispiel nach Grönland
oder Madagaskar. Und der ihnen auf die Reise – die ja oft eine Reise ohne
Wiederkehr war – mitgab: „Wenn Ihr nur einen gewinnt, dann hat es sich
gelohnt!“ Das ist tatsächlich so. Wie will man das aufwiegen, wenn jemand
diesen Trost, diese Hoffnung für sein
Leben hat? Das ist unbezahlbar.
Nun, die Antragstellung ging in den Kreiskirchenrat
und wurde intensiv geprüft und beraten; es kam der Vorschlag, die Kapelle doch
mehr in den Ortsmittelpunkt zu bauen, damit sie gut erreichbar wäre – und eine
große Versammlung einzuberufen. Ich war mir nicht sicher, ob das zarte
Pflänzchen so eine harte Diskussion vertragen hätte – die Argumente der
Resignation – also die „Zeichen zurückzusetzen“, Kirchen zu schließen – waren
stark, und natürlich auch viele Menschen dafür empfänglich. Und wie hätte eine
Entscheidung ausgesehen – hätte die Mehrheit dieser Versammlung entschieden,
oder wer? Es war klar, dass der Kirchenkreis solch ein Experiment aufgrund
großer „Baulöcher“ nicht angehen konnte.
So
wurde der Verein „Kapelle Mark Zwuschen“ gegründet, der die Sache nun in die
Hand nahm. Damit war der Kirchenkreis „befreit“ – und auch entsprechende
Genehmigungen musste es nicht mehr geben. 10 Menschen fanden sich, aus Mark Zwuschen
und aus Seyda, die mit ihrem Namen dafür einstanden, die Kapelle zu bauen. Aus
ganz verschiedenen Hintergründen, mit unterschiedlichen Überzeugungen, aber
doch mit diesem einen Ziel verbunden.
Doch
es war noch ein weiter Weg.
55.000 Euro hatte das Baubüro berechnet, würde ein
Bau kosten – aber es war uns klar, dass wir es ja in Eigenleistung schaffen
wollten. Es ging ja um die Beteiligung vieler – nur das ist in dieser Sache
nachhaltig.
Und
55.000 Euro – woher? Ein Förderantrag wurde gestellt, wie viele damals – und er
wurde abgelehnt. In der Zeitung stand das groß – aber auch, dass trotzdem
weitergemacht wird!
Manchmal
waren wir schon so weit, zu sagen: Dann machen wir einfach ein Kreuz auf einen
Hügel. Das ist ja auch ein Anfang. Aber mir war klar: Wenn wir alle Kräfte
bündeln und jeden Tag ein Stück dafür tun, dann kann es etwas werden.
Schließlich
kam mit der Dienstpost eins von vielen Schreiben, eine Initiative „Andere
Zeiten“ aus Hamburg, die sich für das Kirchenjahr einsetzt – und Projekte unterstützt.
Dort schrieb ich hin – und bekam Antwort. 25.000 Euro! Nun konnte es losgehen.
Schritt für Schritt.
Ein
langer Weg! Am Ende sind es tatsächlich – trotz aller Eigenleistung – 55.000
Euro geworden. Und wie froh war ich, dass wir kurz darauf die Morxdorfer Kirche
für 110.000 Euro – also genau das Doppelte – sanieren konnten – übrigens auch
wieder mit Unterstützung von „Andere Zeiten“! Es war also völlig klar, dass die
alten Kirchen (sie wurden alle saniert) auch reichlich abbekamen.
Es
war am Ende wie bei der Speisung der 5000, die mit den fünf Broten und den zwei
Fischen beginnt, die ein Kind bringt – und dann bleiben 12 Körbe Brocken übrig,
nachdem alle satt sind.
Der
blaue Bus zum Beispiel, seit Jahren eine große Hilfe in unserem Pfarrbereich
und darüber hinaus: Den haben wir wirklich der Kapelle zu verdanken. Da war mal
eine Frau da von jenem Verein aus Hamburg, zu schauen, was geworden ist. Und
sie wurde gefragt: „Was unterstützen Sie denn sonst so?“ „Ja, da ist so ein
Pfarrer in Mecklenburg, der hat an zwei Orten Christenlehre, der brauchte
dringend einen Bus.“ Das klang mir in den Ohren… Christenlehre haben wir ja
auch… Kurz vor Weihnachten ging mein 22 Jahre alter Bus kaputt. Was tun? Ich
bat „Andere Zeiten“. Und wir bekamen ein großes Weihnachtsgeschenk!
Aber zunächst wurde die Kapelle gebaut.
Meister
Sommer kam und maß aus, ein Kreuz aus Bindfaden markierte den Mittelpunkt. Dann
wurde gemauert, kreisrund. Da gibt es ein schönes Bild, mit Herrn Käßner und
Herrn Meißner und unter der Überschrift „Komm, wir bauen eine Kapelle!“ Das war
eine Aufbruchstimmung!
Die
Leute aber wunderten sich: Die mauern und mauern, aber keine Tür und kein
Fenster…
Nun,
die Kapelle sollte ja auf einem kleinen Hügel stehen. Ein Berg gewissermaßen.
Wichtige Dinge in der Bibel fanden ja auf einem Berg statt. Und man geht hinauf
– und ist „aufgehoben“ bei Gott, und
dann geht man wieder herunter. Das hat etwas. Wir wollten gern so einen Berg.
Außerdem würde man so die Kapelle weiter sehen können…
Aber
es ist gar nicht so leicht mit dem „Berge versetzen“. Das frisch Gemauerte
musste also zugeschüttet werden. Womit? Ich rief Bürgermeister Rauhut an, aus
Niedergörsdorf. Einer der ersten, der Unterstützung zugesagt hatte. Im Rahmen
der Interessengemeinschaft „Elbe-Seyda-Radweg“ lernten wir uns kennen, und ihm
war klar, dass es für „seine“ Orte Ausstrahlung haben würde, wenn wir zum Ziel
kommen. Ich rief also an, von Mark Zwuschen aus. Und tatsächlich, nach ganz
kurzer Zeit – ich denke, es war nur eine Dreiviertelstunde – kamen große
Sattelschlepper und kippten so etwas wie Steinmehl ab. Da war gerade eine
Entsorgung gelaufen. Und wir bekamen das alles – geschenkt.
Doch
nun war es an die richtige Stelle zu bringen. Herr Hans-Karl Heepe hat
mitgeholfen, zu schippen. Viele, viele Stunden, bei Tag und in der Nacht. Wir
bekamen Respekt vor dem „Berge versetzen“. Überhaupt vor den Menschen, die vor
vielen Jahrhunderten ohne all unsere Technik Kapellen bauten – viel größer, als
unsere, und sie stehen!
Nach
langer Zeit war der Hügel geschafft. Er musste dann noch ein wenig kleiner
werden, nicht 1 Meter, sondern nur 80 cm. Weil da plötzlich eine Vorschrift
auftauchte für die Höhe der Türen. Da brauchte es noch 20 cm…
Und
dann ging, nach Ostern, Meister Sommer ans Werk. Das sah dann schon nach etwas
aus. So rund, und mit den kreisrunden Fensteröffnungen. Er hatte eine Schablone
mit, eine alte – später erkannte ich die kreisrunden Scheiben in Jessen am
alten „Drushba“-Kulturhaus, heute Dänisches Bettenlager, wieder! Immerhin, aus
der Gegend – so ähnlich werden sie das früher auch gemacht haben.
Kreisrund,
und mit diesen 12 Fenster für die Jünger und dem Christusfenster nach Osten.
Das war nun schon zu sehen, und es sollte stehen für die verschiedenen
Menschen, Temperamente, Konfessionen, Überzeugungen: Wie es bei den Jüngern
auch war. Und doch miteinander verbunden!
Es
gibt tatsächlich antike Vorbilder! Aber die fand ich erst später. Als ich die
Baugenehmigung endlich abgegeben hatte, eine dicke Mappe, vorn hatte ich in
Farbe mit Tusche die Kapelle gemalt in bunten Farben, im Hintergrund ein
Zeltlager – als ich diese Genehmigung abgegeben hatte, lehnte ich mich zurück
und schlug die Zeitung auf - und
erstarrte. Da stand sie, auf dem Bild deutlich zu sehen! Unsere Kapelle! Auf
einem grünen Hügel in einem wunderschönen Park! Was war das? War es mir zu
Kopfe gestiegen? – Ich schaute genauer hin… Es war die Synagoge im Wörlitzer
Park. Sie sieht ganz ähnlich aus. Und ich las dann von den Römern, die auch
schon einen ähnlichen Tempel hatten.
Nein,
wir haben nicht dort abgeschaut. Ich hatte ja meinen Traum gehabt… Das Dach
sollte das „Behütet-Sein“ ausdrücken.
Und
die Türen, die großen Türen, sollen für Glaube, Liebe und Hoffnung stehen. Die
drei Dinge, die immer bleiben, wie Paulus schreibt. Aber natürlich kann man
auch daran denken, dass man in die Kirche eintreten kann – und austreten auch.
Aber dann auch wieder eintreten!
Die
Türen sind natürlich dazu gedacht, dass es auch eine größere Feier werden kann.
Am Anfang machten wir uns viele Gedanken um das
Verschließen. Eine Automatik war im Gespräch, wir hatten auch einen
Spezialisten dafür, Jakob Biber. Um das tägliche Auf- und Zuschließen zu
vereinfachen, sollte dies automatisch geschehen. Aber: Es durfte ja keine
Mausefalle werden! Am Ende hat sich das wunderbar geklärt. Es wurden zwar 10
Schlüssel angeschafft, für jedes Mitglied einen. Aber gebraucht werden sie
selten. Die Kapelle ist Tag und Nacht geöffnet. Und das ist wahrscheinlich der
beste Schutz.
Wunderbar, der Rohbau. Jetzt war etwas zu sehen!
Menschen reisten von weit her an. Und Meister Werner konstruierte einen
„Kaiserstuhl“. Also nicht ein Quadrat im Kreis, sondern noch viel kunstvoller.
Ein rechtes Meisterstück! Sein Sohn Andreas führte es aus. Zum Staunen!
Das
Richtfest kam, zu Pfingsten. Und mit ihm ein großer, sehr futuristisch
anzusehender Bus voller amerikanischer Studentinnen und Studenten. Über 50! Der
Valparaiso University Chorale von der größten lutherischen Universität der USA.
„Wir haben hier so viele Chöre, könnt Ihr nicht mal einen nehmen?“ wurde ich
angerufen. Ja! Haben wir gemacht. Und dann zeigte es sich, was das für ein Chor
war! Inzwischen hat er eine Partnerschaft mit den Thomanern und hat zum
Staatsakt der Bundesregierung am 31. Oktober 2017 in der Schlosskirche
gesungen. Aber zuerst – zuerst wollte er auf seinen Tourneen immer nach Mark
Zwuschen und Seyda kommen! Wegen dieses eindrücklichen Richtfestes. Der große
Bus hatte wohl noch nie so einen Feldweg gesehen, die Gesichter waren gespannt,
wo das noch hingehen sollte - und dann
war das Erstaunen groß: So eine kleine Kapelle! Aber es war sehr fröhlich, und
der Funke, auch durch die Gastfreundschaft der Mark Zwuschener, ist übergesprungen.
Meister Werner sprach den Richtspruch vom Gerüst, der Chor sang, der Kuchen
schmeckte: Ein wunderbarer Tag, 2010. Und das Ganze haben wir sogar im Luftbild
festgehalten. Ein mutiger Mann, Otto Henze aus Naundorf, flog mit einem
Propellerflugzeug über allem – und filmte.
In
jenem Sommer kamen dann auch schon die Kinder der Kinderkirchenferientage aus
Seyda vorbei in Mark Zwuschen – und da waren dann schon mal 50 Kinder in der
kleinen Kapelle – und wir staunten, wie viele doch hineinpassen.
Langsam
ging es voran. Alles in Eigenleistung! Ganz ließ es sich nicht durchhalten.
Aber die Firmen trugen viel dazu bei. Firma Schwarzer legte über 4000 Ziegeln
auf – und sie mussten alle angeschnitten werden. Ein Meisterwerk, auch dies!
Torsten
Kässner aus Seyda, Vereinsmitglied, mauerte den Altar – mit von der Firma
Rietdorf aus Gadegast gestifteten Steinen. Eine Botschaft an die Nachkommen
wurde eingelegt. Firma Clemens aus Gadegast pflasterte den Fußboden. Metallbau
Schulze, ebenfalls aus Gadegast, konstruierte die runden Türen, und Thomas
Schudde belegte sie mit Holz. Das alles brauchte seine Zeit…
Doch
es nahm Gestalt an.
Inzwischen
konnte man in der Kapelle schon Andachten feiern – auf Zementsäcken sitzend
etwa, und mit Teelichtern auf dem angefangenen Altar. Günter Thiele aus
Ruhlsdorf war kreativ und brachte über eine Autobatterie den ersten
Adventsstern zum Leuchten! Da war schon wieder Winter.
Nun
die Altarplatte. David Oppermann aus Seyda, bester Steinmetzlehrling
Sachsen-Anhalts, hatte zugesagt, den Altar
zu gestalten. So fuhren wir gemeinsam zu seinem Meister nach Dessau,
Herrn Wotzlaff. „Wir brauchen einen Stein.“ „Wozu denn? Eine Kapelle? Dann
schenke ich ihn. Ich bin katholisch!“ So bekamen wir diesen großen schönen
Marmorstein, die Altarplatte, geschenkt. David bearbeitete ihn. Und ich sehe
noch, wie er zentimeterweise vom Auto in die Kapelle transportiert wurde, an
Seilzügen und Dreiböcken. Schwer? Nein! Sehr schwer!
Plötzlich kam ein Anruf aus dem Westen! Tief aus dem
Westen, von der holländischen Grenze. „Wir haben gehört, Ihr baut eine Kapelle.
Eine runde Kapelle. Wir wollen das auch. Aber das geht doch gar nicht! Wie
macht Ihr das mit den Türen?“ Nun, ich schickte die Baupläne nach Müschen – und
wurde nach einem knappen halben Jahr Bauzeit tatsächlich zum Richtfest
eingeladen! Eine ganze Tankfüllung war es, bis da hin. Ich durfte auf einem
Planwagen mitfahren im Umzug zur Kapelle, und in der Zeit, wo die Läuteanlage
montiert wurde – da gab mir der katholische Pfarrer Gelegenheit, zu sprechen:
Und ich erzählte von Mark Zwuschen und übergab ein selbstgehauenes Relief mit
Anker, Herz und Kreuz für Glaube, Liebe und Hoffnung. Das hatte ich eigentlich
für den Altar in Mark Zwuschen angefertigt, aber es wurde dann dort abgelehnt –
und so hat es einen guten Zweck erfüllt.
Der Kontakt war herzlich – wir waren dann im folgenden Sommer noch einmal da.
Bei den Kinderkirchenferientagen gab es viele fleißige Helferinnen und Helfer,
Larissa aus Mark Zwuschen war auch dabei – und ich hatte danach ein paar Tage
frei, so fuhren wir als „Jugendfahrt“ nach Amsterdam – und vorher nach Müschen,
wo wir herzlich aufgenommen wurden, im Pfarrheim geschlafen haben und kostenlos
das Schwimmbad benutzen konnten. Die Kapelle dort ist auch rund, allerdings
doch ein wenig wie eine Schnecke gebaut.
Sie
waren viel schneller fertig als wir – mit Geld geht es eben fixer. Aber wir
wollten ja viele beteiligen.
Eine
große Sorge war der Vandalismus: Was würde geschehen, wenn die Kapelle da so
abseits steht? Ich lud mir alle verfügbaren Jugendlichen ein, und wir sammelten
Feldsteine, bis der (alte) Bus fast „in die Knie“ ging. Wer das gemacht hat,
schmeisst dann keine Steine, dachte ich mir. Und es war fröhlich! Der alte Herr
Henzel half mit, aus Morxdorf, und am meisten Torsten Käßner, die Kapelle von
außen mit Feldsteinen zu verblenden – damit man schon von weitem erkennt, dass
sie eine „Verwandte“ der alten Feldsteinkirchen ist.
Die Türen bekamen viele kleine Fenster – eigentlich
deshalb, weil wir ja von geschlossenen Türen ausgegangen waren – damit man
hineinschauen konnte. Pfarrer Dr. Schollmeyer zählte alle Fensterchen und kam
auf erstaunliche Zahlenspiele, die er in einem Gedicht verarbeitete…
Für die runden Fenster wurden mir große Preise
genannt. Doch wir bekamen die Glasscheiben von OEWI – und Thomas Schudde
schnitt sie uns kreisrund. Dann brachte ich sie zur Berufsschule nach
Wittenberg, wo Klaus Bernhardt aus Mark Zwuschen, der Lebensgefährte von Frau
Stecher, eine Tischlerklasse anleitete,
runde Fenster zu gestalten. So entstanden unsere schönen runden Fenster. Und
Herr Bernhardt zeigte, dass er auch das Metallfach versteht, mit einem kleinen
Leuchter, der auf dem Altar seinen Platz hat.
„Was macht denn Elisabeth
jetzt?“ fragte ich eine Mutter auf der Straße. „O, sie lernt Holzschnitzerei in
Oberammergau!“ – „Wann kommt sie nach Hause?“ – „Zu Ostern.“ Ich besuchte sie
also mit der Frage, ob sie nicht die biblischen Geschichten, die an die Türen
sollten, schnitzen könnten – und dachte an ihre ganze Klasse. Elisabeth meinte,
das würde zu individuell werden – lauter Künstler, lauter verschiedene
Gestaltungsformen. Und sie bot sich an – ehrenamtlich – all die biblischen
Geschichten zu schnitzen. Meine Mutter,
eine ehemalige Katechetin, malte sie vor, und in der alten Tischlerwerkstatt
von Meister Hirsch in Seyda konnte Elisabeth nun einen ganzen Sommer lang
schnitzen, 177 Stunden lang. Ich projezierte mit dem Beamer die Entwürfe auf
die Holzplatten, und sie malte sie mit Bleistift nach. Das Eichenholz besorgte
und fertigte uns Herr Kuhrmann aus Jessen an, die Rahmen Thomas Schudde.
4
Bilder zum Thema Glaube: Abraham, Jakob, die Stillung des Sturms und der Gute
Hirte.
4
Bilder zum Thema Liebe: Die Schöpfung, der Verlorene Sohn, der Barmherzige
Samariter – und Jesus am Kreuz.
4
Bilder zum Thema Hoffnung: Die Arche Noah, die Speisung der 5000, …, die
Ostergeschichte.
Diese
geschnitzten Bilder von Elisabeth Kratz sind inzwischen das verbindende Glied
aller drei Kapellen geworden.
Das Geld war immer knapp oder alle – oder
andersherum, es war immer gerade so viel da, wie wir brauchten – jedenfalls kam
sogar noch eine professionelle Spitze auf die Kapelle, von einer Firma aus
Freiberg. Am Anfang hatten wir noch gedacht, selbst eine zu schnitzen. Aber so
wurde es richtig fein, mit Wetterfahne – der Jagdpächter Wielage hatte daran
Interesse und gab etwas dazu. Ganz oben natürlich das Kreuz des Jesus Christus,
und darunter: Das wehende Grabtuch mit der Aufschrift „Vivit!“. „Er lebt!“ Das
ist die Osterbotschaft, und das steht auch in der Lutherrose, wie auch in
Wittenberg bei den Darstellungen des Gekreuzigten aus der Reformationszeit
immer das wehende Tuch zu sehen ist. Petrus und Johannes machten einen Wettlauf
zum leeren Grab – und sie fanden darin eben nur das Grabtuch, Zeichen der
Auferstehung. 2011 wurde die „Bekrönung“ aufgesetzt – da war die Kapelle noch
nicht eingeweiht. Noch ein Winter kam. Und mit ihm ein Leuchter. Die
Männerschola St. Marien aus Heiligenstadt fertigte selbst aus einer alten Achse
einen großen Leuchter. Unten steht ein Liedanfang: „Wo werd ich sein“ – wenn
die Posaune erschallt. Also am Ende der Zeit – wo werde ich dann sein? Ein
alter Gospel ist das, und die
Männerschola – also ein kleiner Chor – sang uns das bei der Übergabe des
Leuchters zu Lichtmess, also am 2. Februar. „Kapelle zum Jüngsten Tag“ – das
war mal eine Idee für einen Namen, der daraus entstand.
Zu Ostern kamen schon einmal ein paar Motorradfahrer
aus Braunschweig und Berlin, Big Scooter –und sie hielten uns dann auch die Treue,
als es zur Einweihung kam, und fuhren im Festumzug mit.
Doch
bis dahin war es immer noch ein Weg.
Stühle
mussten her – an Angeboten mangelte es freilich nicht, jedoch waren die Preise
sehr hoch. Wir nahmen dann die Klappstühle, die heute noch in der Kapelle
stehen und den praktischen Vorteil
haben, dass man entsprechend welche wegstellen und dazustellen kann. Sie
kamen einmal aus dem Münsterland nach Seyda – 33, in einem Skoda, zusammen noch
mit acht Trompeten und Posaunen und einem Mädchen, was ich dann geheiratet
habe… und sie standen dann im Gemeinderaum in der Winterkirche. Aber Herr
Bozinovski stiftete uns dafür Stühle – und so waren diese frei – für die
Kapelle.
Der Tag der Einweihung kam heran.
Ein
Festumzug mit dem Jessener Spielmannszug, der sein Kommen lange vorher zugesagt
hatte, führte vom alten Gutshaus bis zur Kapelle. Viele, viele waren gekommen.
Alle Türen waren geöffnet. Kantor Michael Weigert musizierte, mit Musikern aus
Indien, mit Orgel und Trompeten. Als Evangeliumstext wurde von den fünf Broten
und den zwei Fischen gelesen, die dann so viele satt machten – wir konnten
sagen, das hatten wir erlebt.
Zurück
im Festzelt gab es noch einen Vortrag über die Entstehungsgeschichte. Ein
langer Weg!
Und nun begann der Alltag an der Kapelle.
Bernd-Fritz
Schmidt, der mit geschachtet und viel geholfen hatte, fragte: „Und was ist mit
mir?“ Er war noch nicht getauft. Und so feierten wir Taufe, an der Kapelle, mit
ihm, der mit seinem Rauschebart wie Karl Marx aussah und schon 60 Jahre alt
war. „Er zog seine Straße fröhlich.“ Das war der Text.
Kurz vor der Einweihung besuchte mich der
Superintendent und kündigte mir an, dass ich Elster mit übernehmen würde. Eine
große Sache! Und wie das nun machen, mit den Gottesdiensten? So kam es zu der
Zeit, sonntags vierzehntäglich um 15.15 Uhr – ein bisschen außergewöhnlich.
Aber machbar. Und jeden Freitag früh um 8 Uhr eine Morgenandacht. Als Start in
das Wochenende gewissermaßen.
Es
ist eine Freude, die Kapelle in den verschiedenen Jahreszeiten zu erleben. Die
Lichtspiele durch die Fenster. Die Natur außen herum.
Aus der Baugenehmigung ergab sich noch die Auflage,
für die versiegelte Fläche Sträucher anzupflanzen. Das geschah. Lauter
verschiedene Pflanzensorten sind es gewesen, ganz bunt blüht es – und unter der fachkundigen Anleitung von Herrn
Lorenz ist es wunderbar angewachsen, auch der Rasen auf der Fläche und am Berg.
Ein
Wasserhahn kam dazu!
Herr Petermann aus Mellnitz – wer kennt ihn nicht,
den Weltreisenden? - hat Stühle und Tische gestiftet, so dass man gut
picknicken kann. Ein Schaukasten kam dazu, ein Fahrradständer. Zuletzt ein
Glöckchen.
Das ist eine längere Geschichte. Die Glocke stammt
aus Prag von einem Mittelalter-Stand auf dem Alten Markt und hat 1.000 Kronen
gekostet. Ein kleines Glöckchen. Eigentlich sollte es ja eine größere Glocke
werden. Eine ganz große, nämlich die aus Seyda, die dort ausgebaut wurde, um
einer ganz neuen Glocke 2017 Platz zu machen, aber zum Handläuten wohl noch gut
gegangen wäre. Freilich ist es eine Riesenglocke im Vergleich zur Kapelle, und
es braucht einen stabilen Glockenturm dazu. Nun gibt es tüchtige Zimmerleute bei uns, aber ein Glockenturm –
das ist statisch etwas Besonderes!
Eine
Möglichkeit schien sich zu ergeben, weil die methodistische Kirche in Abtsdorf
geschlossen werden sollte. Dort stand ein Glockenturm – sogar mit Glocke. Die
Glocke wurde geborgen, der Glockenturm sollte nachfolgen – doch da gab es
Komplikationen. Das Grundstück war dann verkauft, und der neue Besitzer nicht
bereit, den Rest des Glockenturms herzugeben. So etwas gibt es auch! Nicht für
Geld und gute Worte. So hatten wir nun
zwei große Glocken. Der Platz für den Glockenturm war schon abgesteckt –
aber daraus wurde nichts. So wurde es das Glöckchen. Metallbaumeister Schulze
baute die große Stange. Und nun kann jeder gefahrlos läuten – soll dann aber
auch ein Gebet sagen, denn: Glocken rufen zum Gebet.
Viele verschiedene Feiern hat die Kapelle nun schon
erlebt.
Taufen,
wo es ganz voll war, dass man sich kaum noch drehen konnte, an der Taufe, die
uns der Holzschnitzer Kuhrmann aus Jessen gestaltet hat. Eine Konfirmation von
einem Jugendlichen aus Mark Zwuschen, wo seine Mitkonfirmanden in einer Band
musizierten.
Silberne
und Goldene Hochzeit. Martinstage.
Osternächte. Bibelwochen. Und viele Andachten und Gottesdienste.
Inzwischen
gibt es zwei Instrumente.
Das
eine, ganz große, ist aus Paris. Vielleicht eine Kriegsbeute von 1870/71?
Jedenfalls aus einer der ersten Harmoniumfabriken. Das Instrument hat den
großen Vorteil, dass man es nur sehr schwer wegtragen kann – weil es so schwer
ist. Und dass es mit Muskelkraft, also nicht mit Strom, betrieben werden kann.
Herr Jürgen Schmidt aus Gadegast hat es gestiftet – und wohl in dem Haus
vorgefunden, was er sich ausgebaut hat.
Weil
es doch nicht mehr so leicht spielbar ist, haben wir auch die Spende von Herrn
Quinque aus Jessen angenommen, für ein zweites Harmonium. Es hat den Vorteil,
dass man im Winter als Harmoniumspieler keine kalten Füße bekommt: Denn man
muss sie ja schnell hin und her bewegen.
Etliche Musiken konnten wir in der Kapelle erleben,
im Anschluss auch oft mit einem Feuer. Panflötenspieler, Saxophonisten,
Blechbläser, Gitarrenspieler… Eine besondere Sache war auch die Sternenbetrachtung
mit Astronomielehrer Thomas Felber – Vereinsmitglied! - . Das war spannend, und
ein weiterer Vorteil der Kapelle zeigte sich: Nur ganz wenig „Streulicht!“.
Erst vor kurzem wurde die Namenstafel eingeweiht,
mit all denen, die mitgewirkt haben. Mit einer Kirche ist man verbunden, weil
man selbst und die Vorfahren dort waren,
die alten Kirchenbücher erinnern an die Feiern des Lebens – in den alten
Bauerndörfern kann man das über viele Generationen zurückverfolgen.
Die
Kapelle ist nun dagegen sehr jung. Aber die Namen derer, die mitgebaut haben,
kennt man doch – oder ist mit ihnen verwandt oder befreundet. So wird hier, vor
Gott, an sie alle gedacht. Wie viele doch – nach zehn Jahren – schon
heimgegangen sind! Wie kurz ist unsere Lebenszeit! Gottes Wort aber bleibt in
Ewigkeit und hält uns. Die Kapelle erinnert daran.
Und nun hat die Kapelle also „Kinder“ bekommen. Wer
hätte das gedacht! Zuerst 2016 in Listerfehrda. Es ist wie Mark Zwuschen ein
Ort, der keine Kirche hatte. Und in den 50iger Jahren, da gab es einen
Bürgermeister, der hatte einen Kirchenbau geplant. Fix und fertig. Aber der
Gemeinderat zögerte. Und da ging er – der Kommunist – in den Westen – und die
Pläne verschwanden in der Schublade – für immer. Herr Karschunke, lange Zeit
Ortsbürgermeister, erinnerte an diese alte Geschichte immer wieder mit dem
Punkt: Wenn etwas möglich ist, muss man es auch tun: Sonst kann die Gelegenheit
schnell vorbei sein.
Die
Flut war gekommen, und mit ihr auch eine Flut der Hilfsbereitschaft. Die
Caritas setzte sich sehr ein – und da kam auch die Idee auf, für Listerfehrda
und am Elberadweg eine Kapelle zu bauen. Als ich aus dem Urlaub kam, las ich es
in der Zeitung und konnte meinen Augen kaum trauen: „Stadtrat stimmt Kapellenbau
zu.“ Ich wurde dann gefragt, und sagte: „Zuerst muss man die Listerfehrdaer
fragen!“ Ja, so sollte ich also die Listerfehrdaer befragen – und die ich
fragte, waren beigeistert. Na klar! Endlich! Wollten wir doch schon immer…
Diesmal
schien es nicht so ein langer Weg zu werden. Aber dann doch.
Denn
es drehte sich nun herum. Die Listerfehrdaer fragten mich: Was wird denn jetzt
mit der Kapelle? Und ich fragte die Caritas. Aber die Caritas hatte längst
einen Anruf bekommen, dass der Bau von neuen Kapellen für den Kirchenkreis aus
bekannten Gründen inakzeptabel sei. Der Mann von der Caritas sagte: Deshalb ist
nun kein Geld mehr da. Gar keins? Fragte ich. Na, höchstens noch ein bisschen…
Also
fingen wir mit dem an, was da war: Dieses Geld, unsere Kräfte – und die
Möglichkeiten. Einen kleinen Treffpunkt gab es schon, einen Pavillion. Er ließ
sich umbauen. Mit der Zimmererfirma Frenzel berieten wir alles ganz genau,
unter Beteiligung der Listerfehrdaer. Gewissermaßen bis auf den letzten Cent.
Aber dann – sollte es doch kein Geld von der Caritas geben.
Nun,
das hatte den Vorteil, dass wir selbst etwas beschafften. Meine Jungs spielten
Trompete, solange es der Ansatz hergab, von einer Ecke Listerfehrdas zur anderen – und am nächsten Tag dann noch
einmal. Und wir hatten dann so viel Geld zusammen, dass wir anfangen konnten.
Das
heißt, ich hatte gespart für eine Christusstatue in Mellnitz – aber nun
brauchte ich das Geld eben hier. Ich schrieb an „Andere Zeiten“
und stellte ihnen meine Not dar. So eine Kapelle hat ja etwas mit
„Kirchenjahr“ zu tun, sogar sehr viel… Wenige Tage später bekam ich Antwort:
Das Geld, was fehlte, und die Statue dazu…
So
wurde also im Herbst 2016 die „Kapelle der Begegnung“ in Listerfehrda
eingeweiht. Rechtzeitig vor dem großen Lutherjubiläum sollten die Radfahrer
hier mit der Lutherrose begrüßt werden. Meine Mutter hatte sie mit Weinranken
gestaltet, Elisbaeth Kratz sie geschnitzt -
und das Kreuz im Herz der Lutherrose diente nun als Altarkreuz. Rechts und
links, außen und innen, sind biblische Geschichten von Begegnungen zu sehen:
Maria begegnet Elisabeth („Ave Maria!“), die Emmausjünger begegnen Jesus
(Ostern), Gott begegnet Mose am brenndenen Dornbusch – und Jesus Petrus bei
seinem Fischzug.
Und
wann nun hier Gottesdienst halten? Nun, immer mal wieder gab es einen
„Ausflugsgottesdienst“ der umliegenden Gemeinden. Aber eine ganz sichere Sache
war die Morgenandacht am Donnerstag um 9 Uhr. Eine sehr schöne Gemeinschaft,
oft bis auf den letzten Platz besetzt! Mit Sitzkissen und Tee. Die Zeit war
ungewöhnlich – aber am Sonntag war nichts mehr möglich, und abends wäre es auch
ungünstig, weil es ja keinen Strom gibt. Um 9 Uhr ist es immer ausreichend
hell. Und wieder ist das Erlebnis der Jahreszeiten etwas ganz Großes, und dort direkt Gott zu loben und sein Wort
zu hören für den Tag, miteinander. Wie die Kapelle angenommen wurde, zeigte
sich – wie auch in Mark Zwuschen – bald daran, dass viele schöne Blumen zu
sehen waren.
Und
dann, wieder vier Jahre später, 2020 – konnte am 31. Januar die „Kapelle zum
Guten Hirten“ auf dem Diest-Hof eingeweiht werden. Wieder schnitzte Elisabeth
Kratz das Bild. Diesmal wurde mit europäischen Fördermitteln gebaut. Es war der
Tag des „Brexit“ – also die Kapelle, die haben auch die Briten noch
mitfinanziert. Ein schöner Ort, für die Diest-Hof Bewohner und alle Besucher –
die Kapelle soll – nach Corona – für alle auch zugänglich sein. Und:
Plötzlich
sind wir in dem Gebiet mit der höchsten Kapellenneubaudichte der Welt…
Doch
darauf kommt es nicht an, sondern auf die Liebe. Die Liebe, mit der die
Kapellen gebaut worden sind – und mit der sie genutzt werden. Und vor allem auf
die Liebe, die uns von dort entgegenkommt. Das Aufgehobensein, der Trost, die
Freude. Dafür sind die Kapellen Orte, und zwar niederschwellige Orte – man kann
einfach hineingehen. Man kann Gott finden, sein Wort für das Leben. Dafür sind
sie da. Und natürlich kann man die Gemeinschaft finden. Dass da noch einer da
ist, „zwei oder drei in meinem Namen“. Dass sich da Berge versetzen lassen, der
Resignation, des Leides, des Unfriedens. An dieser Stelle.
Es ist immer ein Erlebnis, wie die Texte gerade aus
dem Neuen Testament in Mark Zwuschen ganz neu klingen. Da ist so oft die Rede
von denen, die immer schon da waren, und von denen, die dazukommen. Viele Gleichnisse
gibt es dazu. Viele Aussagen von Paulus. Es war sein Thema! „Ihr seid nun nicht
mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes
Hausgenossen!“ Das klingt da ganz neu. Man merkt die Lebendigkeit des
Evangeliums.