„Etliche

haben

Engel

beherbergt.“

 

Wie die Christusstatue wieder nach Mellnitz kommt.

 

 

Eine Adventsgeschichte 2016.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die kleine Feldsteinkirche in Mellnitz gehört zu den ältesten unserer Gegend. Vor 850 Jahren, als die Flamen kamen, bauten sie solche Kirchen. Sie waren oft nur wenige Leute in einer unwirtlichen, ihnen oft feindlich gesinnten Umwelt. Da war ihnen wichtig: Unser Gott ist doch bei uns, in unserer Mitte. Seine Liebe trägt uns. Die Kirche war als einziger massiver Steinbau Zufluchtsort nicht nur geistlicher Art, sondern ganz handfest auch, wenn Feinde kamen, wilde Tiere oder Unwetter. Die Fenster waren klein und zu verschließen – eines davon ist über dem Altar der Mellnitzer Kirche bis heute erhalten.

 

Die alten Mauern erzählen auf ihre Weise Geschichte. Auf der Südseite sind noch deutlich Priesterpforte und Gemeindepforte erkennbar: Mellnitz hatte einen eigenen Pastor – der aber, das ist schon an der schmalen Tür zu sehen, wohl aufgrund der Kleinheit des Ortes „weder leben noch sterben“ konnte. Bei der ersten evangelischen Kirchenvisitation 1528 wurde jedenfalls verfügt, die Pfarrstelle einzustellen und dafür in Seyda einen 2. Pfarrer – neben dem neuen Superintendentenamt – speziell für die Orte Seyda, Morxdorf und Mellnitz anzustellen.

 

Furchtbares hat der Ort im Dreißigjährigen Krieg erlebt, davon ist ein Bericht in der Turmkugel erhalten. Viele Jahre war die Kirche nicht zu benutzen, der ganze Ort lag am Boden. Aber dann, im 18. Jahrhundert, erholte er sich langsam. Der Kirchturm kam als Dachreiter dazu, mit der Glocke aus jener Zeit, die dort bis heute hängt und ihren Dienst tut.

 

Jede Generation hat das Ihre beigetragen, die Kirche zu erhalten. Im Barock kamen die großen Fenster, das Licht, in die Kirche. Man brauchte es, denn seit der Reformation sang der Pastor nicht mehr allein, und es gab Gesangbücher, die man so besser erkennen konnte.

 

Im Jahre 1880 schaffte der Kirchenrat eine Christusstatue an, 133 cm hoch. Sie wurde auf den Altar gestellt und entsprach ganz dem Stil dieser Zeit. Ein dänischer Künstler, Thorvaldsen, hatte in Kopenhagen eine solche Figur geschaffen. Sie  zeigt Christus, der mit ausgebreiteten Armen auf uns zu kommt, nach dem „Heilandsruf“ Jesus: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid: Ich will euch erquicken!“ (Mt 11,28)

Die Figur ist weltbekannt. Auch auf Friedhöfen begegnet sie oft, so auf dem alten Naundorfer Friedhof (gegenüber der Kirchtür). Der alte Pastor Voigt aus Gadegast hatte eine solche Figur (35 cm hoch) auf seinem Klavier stehen, heute ist sie auf dem Altar in der Zemnicker Kirche zu finden.

 

Jesus mit ausgebreiteten Armen: Gott kommt mit seiner ganzen Freundlichkeit auf uns zu, wendet sich uns zu. Diese Gute Nachricht, das Evangelium, sollte im Mittelpunkt stehen. Der Gekreuzigte begegnet uns als der Auferstandene, der auf uns zu geht.

 

Etlichen Generationen von Mellnitzern stand diese Figur vor Augen, wenn sie in der Kirche Freude und Leid vor Gott brachten. 1901, so kündet die Jahreszahl über der Kirchtür heute, wurde der Eingang auf die Westseite gelegt, so konnte man auch bei Hochzeiten gerade hineinschreiten, auf den Altar mit der Christusfigur zu. Die Weltkriege kamen und mit ihnen sehr viel Leid: Der Christus mit den ausgebreiteten Armen hat getröstet und Frieden in die Herzen gebracht.

 

In den 70iger Jahren wurde die Kirche baupolizeilich gesperrt. In dieser Zeit scheint auch die Statue vom Sockel geholt worden sein. Zuletzt wurde sie – mit abgeschlagenem Arm – im Nebengelass unter der Treppe zur Empore gesehen. 1985, zur 600-Jahr-Feier des Ortes, gab es eine große gemeinsame Anstrengung von Kirchengemeinde (es gibt Fotos, wo der Pastor persönlich rittlings auf dem Dachgiebel sitzt und mitwirkt), von politischer Gemeinde und von der LPG, dem großen Landwirtschaftbetrieb, der zu Dach und Kronleuchter das Wesentliche beitrug. Ein großer Kran hob den Turm vom Dach, es sieht aus wie „Hut ab“ – und dann auch wieder hinauf. Wie damals üblich – und mit den Möglichkeiten, die es gab – wurde die Kirche ganz einfach geweißt, ein schlichtes Holzkreuz kam auf den Altar. Es bleibt bis heute erstaunlich, dass eine solche Kirchenrettung damals möglich war: Mit den verschiedenen Akteuren. Ein Mosaikstein der Geschichtsschreibung, was sich gegen ein Schwarz-Weiß-Bild der DDR stellt.

 

Als ich 1993 meinen Dienst in Mellnitz begann, war der Weg zum Altar nicht einfach. Man wusste nicht, ob sich unter dem Teppich gerade eine feste Stelle oder aber eine lose Fließe verbarg. Die Partnergemeinde aus Hessen schuf Abhilfe mit einer großzügigen Spende: Fliesen aus Südfrankreich wurden eingebaut, die wasserdurchlässig sein sollen. Das war notwendig, der Dorfteich war zugeschüttet worden – und das Wasser suchte sich andere Wege, wohl eine Ursache für die Zerstörung des Fußbodens.

 

Herr Pfarrer, kommen Sie schnell, Kinder schmeißen mit Steinen auf die Kirche!“ – ein solcher Telefonanruf ließ mich nach Mellnitz eilen, ich traf auch die Kinder (es gab da noch welche!), sammelte sie ein: Wir malten Fensterbilder: die Kleineren den Guten Hirten, die Größeren das Gleichnis vom Vierfachen Acker  und die 6 Werke der Barmherzigkeit. Keiner schmiss mehr einen Stein – auf die eigenen Bilder! Und die Kirche war nun bunt. Wir machten auch einen Ausflug zur nahegelegenen Glaswerkstatt, und diese schenkte der Kirchengemeinde dann zu Weihnachten – bei eisiger Kälte wurde es eingebaut – ein buntes neues Ostfenster: Die Dunkelheit (ein dunkles Rot) wird aufgerissen durch ein gelbes Kreuz, eine eindrückliche Darstellung. Für mich war das eine Illustration zu dem Wort des Paulus: „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ (Röm 12,21).

Die alte Friedhofsmauer wurde saniert – ein Russlanddeutscher half dabei wesentlich mit – und auf dem alten Friedhof im Jahr 2000 zwei Linden gepflanzt: Für 2000 Jahre Kirche.

 

Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“ (Ps 36,6) Natürlich wurde dieser Psalm in Mellnitz gebetet, und ein wenig direkte Erfahrung war auch schon da: Im Harmonium, was – nach Inschrift – aus Woodstock in Kanada stammte und vielleicht von einem Auswanderer gestiftet worden war. Aber das, was dann kam, überstieg alle  unsere kühnsten Träume: Eine Gemeindegruppe aus Seattle vom Pazifischen Ozean kam im Sommer 2005 für zwei Wochen, wohnte in Mellnitz und Seyda  und renovierte mit uns die Kirche. Eine fröhliche Gesellschaft: Ein Zimmerer mit seiner Frau, ein Manager von Boeing, eine Ärztin, ein Autoschlosser, eine Krankenschwester, ein Geschichtsstudent, ein Bankangestellter, eine Lehrerin, eine Schülerin, ein Pastor, eine Hausfrau, eine Künstlerin, eine Geschäftsfrau… Sie alle packten mit an. Die Bänke wurden in eine große Scheune des Agrarbetriebes ausgelagert, und Frau Doktor aus Amerika rückte (mit anderen) mit großen Spritzen dem Holzwurm  zu Leibe. Die Wände wurden gemalt, auch alle Holzteile inklusive der Bänke, ein alter bunter, fröhlicher Fries von der Ausstattung um 1900 wieder ergänzt. Das alles unter Anleitung des Restaurators Markus Schulz aus Dresden, der sich mit Freude auf dieses Experiment einließ und es ermöglichte, auch innerhalb kürzester Zeit die denkmalrechtlichen Genehmigungen zu erhalten. So etwas gab es noch nicht! In den vierzehn Tagen wurden übrigens noch einige Exkursionen unternommen, nicht nur nach Wittenberg und Jüterbog, sondern auch nach Berlin, Leipzig, Eisenach, Eisleben, Erfurt, Torgau. Zehn Minuten vor der Einweihungsfeier wurde der letzte Farbeimer aus der Kirche getragen – und es ist jedenfalls keiner „angeklebt“, was wohl auch an den heißen Temperaturen lag. Der Spielmannszug kam, und es wurde dreimal um die Kirche gezogen. Nach dem Festakt traf man sich auf der Straße zu einem Straßenfest.

Eine großartige Erfahrung: Was wir doch für einen Schatz haben mit unserer alten Kirche – und was für ein Schatz die Gemeinschaft der Christen ist. Gott hat seine Leute, und sie sind zu uns gekommen, um uns zu helfen, buchstäblich „vom Ende der Welt“.

Das war im Jahr 2005, und über 10 Jahre lang gibt es nun immer wieder herzliche Begegnungen hier und dort.

 

Die Aktion hat viel Mut gemacht: Wir können ja gemeinsam viel erreichen! Es lohnt sich, anzupacken. „Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.“ (Neh 8,10) Mit dieser Erfahrung wurde auch in der Folgezeit oft Resignation überwunden und Neues entstand: So die Kapelle in Mark Zwuschen (2008-2012) und in Listerfehrda (2016). Auch andere Gemeinden folgten dem Beispiel und malten – unter Anleitung des Restaurators – ihre Kirche selbst: Ruhlsdorf, Gentha, Naundorf…

 

Manches war bei dieser Sanierung in Eigenleistung nicht möglich. Ganz sichtbar: Die Ostwand, hinter dem Altar. Dazu gab es keine denkmalrechtliche Genehmigung. Das sollte den Restauratoren vorbehalten sein – und viel Geld kosten, was lange Zeit nicht aufgebracht werden konnte. Ebenso natürlich Arbeiten an Balken und Dachkonstruktion.

Goldene Rettungsplanen über die ganze Ostwand waren an einem Weihnachtsfest eine Zwischenlösung. Was für ein Leuchten! Doch da eröffnete sich eine Möglichkeit, 2013. Das europäische Leader-Programm und die Koförderung des Kirchenkreises Wittenbergs machten es möglich, große Summen für die Kirchensanierung zu erhalten. Aber mit einer großen Hürde: 10% des Geldes waren in Eigenleistung aufzubringen! Und das von einer Gemeinde mit 23 Gemeindegliedern, die zwar in der Statistik des Kirchenkreises unter den ganz wenigen war, die gewachsen ist (von 22 auf 23 durch einen Wiedereintritt), aber die doch im Ganzen wohl eine der kleinsten in der Landeskirche ist.

Zunächst sollten knapp 10.000 Euro aufgebracht werden. In kurzer Zeit! Und die Nachbargemeinden konnten nicht helfen, denn sie standen vor der selben Aufgabe.

Da kam uns etwas zu Hilfe: In einem Magazin des Vereins „Andere Zeiten“, das zum Kirchentag in Hamburg erschien, standen  zwei Seiten über unseren Pfarrbereich. Auslöser war die Kapelle in Mark Zwuschen, die der Verein auch unterstützt hatte. Nun kam eine jugendliche Reporterin und ein Fotograf und dokumentierte einen Tag im Pfarrbereich. Schöne Bilder entstanden – in Mellnitz war zufällig gerade eine Baubesprechung – und dann stand mittendrin der Satz: „Da gibt es viele Ideen, aber manchmal fehlt das Geld.“ Das brachte eine hochbetagte Rentnerin aus Kassel dazu, sich durchzufragen, im Pfarramt anzurufen – und 2000 Euro zu spenden. Just an diesem Abend sollte im Mellnitzer Gemeindekirchenrat die Entscheidung fallen, ob wir es wagen wollten, eine Spendensammlung zu beginnen. Eigentlich eine aussichtlose Sache (das jährliche Spendenaufkommen lag sonst bei 1000 Euro), aber nun war ja schon einmal ein Anfang gemacht. Es wurde dann mit Gottvertrauen fröhlich begonnen. Am Ende war die Summe durch vielerlei Hilfe aus Nah und Fern erreicht: An 5 Kirchen im Pfarrbereich konnte mit dem Bauen begonnen werden. Mellnitz war natürlich die kleinste Kirche – die am Ende aber am längsten und am teuersten wurde. Der Betrag verdoppelte sich, zum Schluss waren es 188.000 Euro. Balken, die seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr gewechselt worden waren, wurden saniert. Der Kirchturm zum Halten gebracht, schließlich sogar das Dach gedeckt – und die Ostwand wieder in der Fassung hergestellt, wie sie um die Jahrhundertwende aussah: Mit einer Pforte zum Himmel!

 

Einen großen Dankgottesdienst gab es 2015 nach der Sanierung, mit Besuch aus Nah und Fern. Die Freude war groß. Sogar die Kanzel war wieder an ihre alte, erhöhte Stelle gekommen, schon zu Heilig Abend 2014 wurde sie durch den Verkündigungsengel beim Krippenspiel „eingeweiht“.

 

Der Triumphbogen war da, und irgendwie war deutlich: Die Mitte fehlt. Da stand doch einmal etwas! Ein ganz altes Foto zeigte es deutlich. Viel war darauf nicht zu erkennen, aber doch die Christusfigur, leuchtend weiß. Sie war die Mitte.

 

Nun begann die Suche nach einer solchen Figur. Dass sie von Thorvaldsen war, war leicht zu erkennen. Und heutzutage, da scheint doch alles zu bekommen zu sein – im Internet. So begann die Suche. Aber tatsächlich war auf der ganzen weiten Welt keine solche Figur zu ersteigern oder zu bekommen. Nur in kleinerer Größe, bis 40 cm. Aber nicht 133 cm oder ähnlich, wie wir sie brauchten.

Nun haben wir ja Kontakte in die weite Welt. Auch nach Amerika. Was gibt es nicht in Amerika? Aber es war nichts zu machen.

Beziehungen nach Dänemark ergaben sich über die Kirchengemeinde in Gentha. Thorvaldsen kam ja von dort. Aber auch die Bischöfin, uns sehr wohlgesonnen, konnte uns da nicht helfen.

 

Die Restauratoren? Ja, es muss doch ein Fundus geben… Aber es war nichts da – nicht so eine Figur, wie wir sie brauchten. Restaurator Körber, der in Elster  tätig war, sagte auf Anfrage: „Ja, ich arbeite gerade in Coswig. Da habe ich doch so etwas gesehen!“ Also: Auf nach Coswig! In einem Nebengelass fand sich dort genau so eine Statue, wie wir sie haben wollten. Aber sie war kaputt, die Hand fehlte.  Und sie stand über viele Jahrzehnte an der Straße, der Witterung ausgesetzt: Das sah man ihr an. Eine einfache Restaurierung hätte über 6000 Euro gekostet – also wie gesagt nicht so einfach darzustellen für die kleine Gemeinde. Es wurde jedenfalls angefangen, zu verhandeln. Eine andere Landeskirche! Anhalt! Es gab die Genehmigungen, von ganz oben und von ganz unten. Eine Leihgabe… Aber dann kam es ganz anders.

 

Im Dezember 2015 bekam ich einen Anruf von einem polnischen Pastor aus den Masuren. Er – ein Lutheraner – wollte mit einer kleinen Gruppe seiner aktivsten Gemeindeglieder eine Reise nach Wittenberg unternehmen und fragte mich, ob wir sie nicht unterbringen könnten.  Eben so als Gemeinde. Wir kannten uns überhaupt nicht! „Herberget gerne!“ sagt der Apostel… Das haben wir dann auch gemacht. In Mellnitz kamen sie unter,  in der kleinsten Gemeinde. Eine herzliche Begegnung! Einen geschnitzten Storch brachten sie mit („Befiehl du deine Wege…“) – und sie zeigten uns Bilder von ihrer Kirche und ihrem Kirchgarten. Und was haben wir da gesehen? Genau so eine Statue, wie wir suchten! Ganz neu, im Jahr 2000 aufgestellt. Nun war schnell gefragt, woher sie kam.

 

Und an einem Tag in der Osterwoche, als mal kein Geburtstag und auch sonst keine wichtige Veranstaltung anstand, machte ich mich in Begleitung von Andreas Kirsten früh um 7 Uhr Richtung Polen auf. Ich wollte doch wissen, ob das wirklich ein richtiger Künstler ist – und dass die Statue dann hoffentlich doch nicht am Ende aus Plaste gefertigt ist.

Halb drei Uhr nachmittags trafen wir in Bielitz ein, hinter Katowice. Der Künstler war – Gott sei Dank! – zu Hause, nämlich in seinem Garten und an einem Kunstwerk beschäftigt. Also: Alles echt! Denn er wusste ja nicht, dass wir kommen. Ein wenig schwierig war es natürlich, weil ich nicht Polnisch und er nicht Deutsch konnte. Aber ich bekam bald heraus, dass er schon drei solcher Statuen angefertigt hatte, und er verstand, was wir wollten. Zur Bestätigung gingen wir dann noch ins Nachbarhaus – da wohnte der evangelische Pastor, und der übersetzte uns noch einmal das, was wir schon mit Händen, Füßen  und Zeichnungen verhandelt hatten. Der Künstler lud uns dann zu einem Gang auf den Markt ein. Dort steht eine Statue, die er im Auftrag der Stadt vor einigen Jahren angefertigt hat. Ein feines Kunstwerk, wie wir feststellten. (Ein Bild auf unserem Kalender 2017 zeigt den Künstler mit Andreas Kirsten vor dieser Statue.)

Beim Stadtgang trafen wir auf große Transparente: „500 lat reformacija“ – „500 Jahre Reformation – wir feiern!“ Ich dachte: Irgendwie muss das doch eine Sinnestäuschung sein: Du bist doch mitten in Polen, und die Polen sind doch meistens katholisch. Aber nein! Der Pastor klärte uns auf: Bei der Rekatholisierung weigerten sich die Bielitzer, katholisch zu werden, sondern gingen lieber zum evangelischen Gottesdienst in den Wald zu ihrem alten lutherischen Pastor. Nach ein paar Monaten sagte der Kaiser in Wien, zu dem Bielitz damals gehörte (noch heute sagt man „das kleine Wien“!): „Eine Ausnahme können wir uns leisten!“ Und so konnten die Bewohner der Stadt lutherisch bleiben. Sie haben auch ein feines Lutherdenkmal, ähnlich dem in Wittenberg. In Bielitz aber streckt der Luther einem die Bibel entgegen!

 

Fröhlich kehrten wir heim! Und nun hieß es: Das Geld zusammenbekommen. Inzwischen kam ein Angebot – nach vielem Nachfragen – von einem Restaurator: Er würde uns eine solche Statue – egal aus welchem Material – computergestützt anfertigen, Kosten über 48.000 Euro. Nun – in Polen war es ein wenig billiger und vor allem: Es ist eine richtige Steinmetzarbeit!

 

In Listerfehrda sollte nun in diesem Sommer eine Kapelle entstehen. Eigentlich war das Geld dafür zusammen. Aber die größte  zugesagte Summe fiel plötzlich weg. Das brachte auf Ideen, zum Beispiel auf eine Sammlung im Ort selbst mit dem kleinen Trompetenchor. So viele 50 Euro-Scheine habe ich noch bei keiner Sammlung erlebt – eine schöne Bestätigung, dass viele Listerfehrdaer das Projekt wirklich wollten. Aber es fehlte noch etwas. So schrieb ich, ein wenig zögerlich, wieder an „Andere  Zeiten“. Aber – diesmal kam keine Antwort. Sonst dauerte es immer nur wenige Tage… Aber diesmal war es nicht so. Doch mir war klar: Das  Zeitfenster war sehr klein, eine solche Kapelle zu bauen. Alles war vorbereitet, jetzt musste es losgehen. Jeden Tag konnte etwas dazwischenkommen, und die Sache wäre vorbei gewesen. Also schrieb ich noch einmal an „Andere  Zeiten“: Dass wir jetzt anfangen müssten, dass ich ein wenig für mich gespart hätte für eine gewisse Statue in Mellnitz, aber dass ich dieses Geld jetzt einsetzen würde – wenn sie aber hören würden, dass jetzt der Kapellenbau beginne, sollten sie nicht meinen, wir würden nicht noch einen Zuschuss brauchen und  uns sehr darüber freuen… Nach einer Woche kam eine kurze Antwort: Mit einer Zusage für die Restfinanzierung der Kapelle – und für die Statue dazu. Halleluja! Wer denkt da nicht an das Wunder, wo da am Anfang fast nichts da war (5 Brote und 2 Fische), und am Ende so viele satt wurden – und 12 Körbe mit Brocken übrigblieben? In diesem Falle waren sie 350 kg schwer: Die Statue.

 

Der Künstler meinte, er brauche einen Monat für das Aussuchen des Steins im Riesengebirge, was man von Bielitz aus in malerischer Kulisse sieht – und dann drei Monate für die Ausarbeitung. Das könnte also bis Weihnachten klappen!

Imposante Bilder gab es: Von dem großen weißen Quader, der Anzeichnung, den ersten Konturen – bis hin zur fast fertigen Christusstatue.

 

Ach ja, eine denkmalrechtliche Genehmigung wollten wir natürlich auch haben… Eigentlich vielleicht ja nicht notwendig, bei „mobilen“ Gegenständen, aber immerhin ist die Statue ganz schön schwer. Die Antwort war: Ja, wir dürfen das machen. Aber nur mit dem alten Podest darunter. Also setzte ich mich hin, um aus dem alten Foto das Podest zu erkennen. Ich erinnerte mich an meine Schulbildung – wir hatten „Technisches Zeichnen“, also 45 Grad und die Strecken nach hinten um die Hälfte verkürzt… es sah dennoch wie eine Schülerzeichnung aus. Aber ich kopierte es einfach einmal. Jetzt schien es schon fast aus dem Baubüro zu stammen! Ich fragte einen ortsansässigen Tischler, der mir schon als Konfirmand ringsherum alle kaputten Kirchenfenster repariert hatte. Der sagte: „Das ist prima! Ich habe für den Mellnitzer Spielplatz gestiftet und dafür ein Stück Mellnitzer Eiche bekommen. Das machen wir!“ Die Denkmalpflege war sofort begeistert: Mellnitzer Eiche! So haben wir die Genehmigung.

 

Den Spielplatz vor der Kirche konnten wir ziemlich zeitgleich mit der (fast) abgeschlossenen Kirchensanierung einweihen. Richtig mit Glockengeläut, Bürgermeister und Bläsern, Gebet und Segen. Es gibt wieder Kinder in Mellnitz! Vor 15 Jahren stand in der Bildzeitung eine ganze Seite über den Ort: „Heile Welt! Das Dorf der glücklichen Leute! Keine Arbeitslosen.“ Im kleinen Text darunter neben vielen großen Bildern konnte man dann lesen: „Nur Rentner.“ Und „Pfarrer Meinhof hat über 20 Gemeindeglieder.“ Dennoch haben die Mellnitzer auch mit Gottvertrauen angepackt und ihr Dorf – und ihre Kirche – schön hergerichtet: Für die Zukunft.  Und nun sind wieder junge Familien da. Bald kann in Mellnitz eine eigene Christenlehregruppe aufgemacht werden!

Die Statue ist also in besonderer Weise für die alten Leute, die sich freuen, dass etwas wieder „heil“ ist, mit dem sie aufgewachsen sind – und für die Kinder, dass sie anschaulich Jesus vor Augen haben als den, der freundlich auf uns zu kommt. Und natürlich für uns alle, zur freundlichen Erinnerung: Er kommt, der „Heil und Leben mit sich bringt“, der „alle Not zum Ende bringt“. Wir warten auf Christus in diesem Advent. Und am 9. Dezember dürfen wir die Statue abholen.

 

„Bleibt fest in der brüderlichen Liebe. Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“

Hebr 13,1f

 

Um 1900.

   

 

 

 

 

 

 

Mitteldeutsche Zeitung Juli 2016.

 

 

Wieslaw Arminiajtis.         Das fast fertige Werk.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

P.S.

Am Sonnabend vor dem 3. Advent wurde die Statue unter Glockengeläut und mit Gesang dem Gesang eines Adventsliedes in der Kirche in Mellnitz aufgestellt.