„Und solches that Gott an unß“………………………………………………. Abgebrannt. Über Feuerflammen in Kirchen in Seyda und Umgebung……………………………………………….. „Die Güte des Herrn ist´s, dass wir nicht gar aus sind. Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende.“ Klagelieder Jeremias 3,22…………………………………………….. Im August 1708 brennt die Seydaer Kirche bis auf die Grundmauern ab, dazu das Pfarrhaus und fast die ganze Stadt. Die Brandkatastrophe, entstanden durch den Schuss eines Jägerburschens auf ein Strohdach, überlebte unser Städtchen nur durch den christlichen Gemeinsinn der sächsischen Städte. Ein „Liebesopfer“ und eine „Liebessteuer“ für Seyda wurden erhoben, in Torgau, Wurzen, Oschatz… Und so konnte die Stadt wieder aufgebaut werden. Superintendent und Pfarrer Andreas Gormann rettete sich in letzter Minute vor den Flammen, mit seinen Kindern an der Hand. Aber er verlor seine ganz Habe, fand im Pfarrhaus in Gadegast Zuflucht und musste die Gottesdienste behelfshalber im Amtshaus feiern, was vor dem Feuer gerettet werden konnte. Mit einer unglaublichen Energie schaffte er es, Menschen und Mittel in Bewegung zu setzen und innerhalb von drei Jahren die Kirche wieder aufzubauen. Freilich hatte sie nun keinen großen Turm mehr, sondern nur einen Dachreiter aus Fachwerk, und statt der früher fünf Glocken konnte erst im Jahre 1717, neun Jahre später, zum Reformationsjubiläum, wieder eine Glocke auf den Turm gebracht werden. „Den Freudenthon evangelischer Christenheit ins Künftige zu vermehren“ – der Zweck der Glocke ist auf ihr geschrieben. Gormann hatte es erlebt: Die Katastrophe verstand er als Gericht Gottes, und den Neuanfang als großes Geschenk. In seinem Bericht in der Turmkugel wechselt er freilich die Sprache, als er auf die eigentliche Ursache, die er für den Brand ausgemacht hat, zu sprechen kommt. Auf Lateinisch schreibt er: „Die Stunde des Unglücks kam über die im Magdeburger Bereich liegende Kirche in Seyda! Gleichzeitig mit dem innerlichen Zerfall ist auch das heilige Gebäude in Seyda eingestürzt. Gerecht ist der Herr, und gerecht ist sein Gericht. Unsittlicher Lebenswandel, unglaubliche Gotteslästerungen, giftigste Täuschungen, höchste Heuchelei hat Gott in Seyda lange genug mit großer Geduld ertragen. Jetzt aber hat er beschlossen, dem Frevel die Maske der Frömmigkeit zu entreißen und diese Schlechtigkeit aufzudecken.“ In deutscher Sprache setzt er dazu: „Und solches that Gott an unß anno 1708, den 28. August von 11 Uhr Vorm(ittags) bis gegen zwei Uhr Nachm(ittags)...“ Am 1. Advent 1711 konnte die neue Seydaer Kirche eingeweiht werden. In unseren Zeiten sollte der 300. Geburtstag der Kirche denn auch gebührend gefeiert werden, der Dank für den Wiederaufbau wurde nun ergänzt mit dem Dank für 300 Jahre, in dem in dieser Kirche Gottes gutes Wort zu hören war und viele Menschen – und zwar die, mit denen wir eng verbunden sind, unsere Vorfahren und Nachbarn und auch wir – Freud und Leid vor Gott bringen konnten, getauft und konfirmiert worden sind, geheiratet haben. 300 Kerzen leuchteten zu diesem Anlass in der Kirche, die ansonsten wegen des 1. Advents mit vielen grünen Zweigen geschmückt war. 300 Kerzen, genau abgezählt – meist waren es Teelichte, rechts und links vom Altar auf den Übergängen zur Empore hin, und natürlich auf dem Altar selber. Jede stand für ein ganzes Jahr Segen, Freude, Kraft und Leben. Die Kirche war gut gefüllt, ich hatte im hinteren Teil unter der Empore noch einen Platz bekommen. Ein weitgereister Männerchor, aus Moskau, füllte mit seinen kräftigen Stimmen die Kirche und hielt alle in seinem Bann. Plötzlich erhob sich eine große blaue Stichflamme am Altar und zog alle Blicke auf sich. Die kleinen Flämmchen der Teelichte hatten sich zu einer vereinigt. Sie züngelten an dem großen, zum Glück noch frischen Tannengrün. Der Gesang ging weiter, die Sänger merkten zunächst nur die gebannten Blicke der Zuhörer, die weit aufgerissenen Augen und Münder und schrieben dies vielleicht noch der Faszination der tief in die Seele sprechenden russischen Musik zu. Selten habe ich es in dieser Geschwindigkeit bis zum Altar geschafft – und begann mit kräftiger Trompetenlunge zu pusten. Die Flamme vervielfachte sich so durch die Luftzufuhr und schlug zurück: Ich verbrannte mir ganz buchstäblich so richtig den Mund. Geistesgegenwärtig kam nun ein Russe neben mich und erschlug mit seinem großen Liederbuch die Flammen. Das alles dauerte nur wenige Sekunden, und das Musikprogramm ging ohne Unterbrechung weiter. Mancher hat es vielleicht für eine besonders gelungene Einlage gehalten, um die Macht der Flammen, die vor 300 Jahren alles vernichtet hatten, zu demonstrieren. Die Kirche war nun nicht nur mit vielen Menschen und herrlichem Gesang, sondern auch mit Brandgeruch gefüllt. Mit großer Dankbarkeit im Herzen setzte ich mich wieder auf meinen Platz. Noch lange brannten mir danach die Lippen, und das Rasieren konnte ich mir für einige Zeit sparen. „Ich bin nicht gekommen, Eure Häuser und Eure Scheunen anzuzünden!“ so begann einmal ein Seydaer Pfarrer seine Antrittspredigt. „Ich bin nicht gekommen, Eure Häuser und Eure Scheunen abzubrennen, sondern ein Feuer in Euren Herzen für unseren Herrn Jesus Christus zu entzünden.“ Einen flammenden Predigteinstieg hatte ich auch einmal in der Naundorfer Kirche. „Liebe Gemeinde! In dieser Woche ist um ein Haar mein ganzes Haus abgebrannt. Die Flammen schlugen schon hoch. Gott dem Herrn und einem Naundorfer habe ich es zu verdanken, dass meine Familie und ich am Leben sind und wir auch heute Nacht unversehrt zuhause schlafen konnten…“ Mit großer Eindringlichkeit hatte mir der Naundorfer Feuerwehrchef, Herr Bolze, in den Ohren gelegen, doch Rauchmelder in meinem Haus anbringen zu lassen. Ich muss zugeben, es war mir schon ein wenig viel gewesen. Wenn er es einmal gesagt hätte, hätte es eigentlich gereicht, dachte ich mir. Jedenfalls hatte ich es mir zu Herzen genommen und tatsächlich die Geräte angeschraubt. Und nun stand der Topf auf dem Herd und ein Nuckel darin, er sollte einmal richtig „ausgekocht“ werden, also durch das kochende Wasser von Schmutz und Bakterien befreit und wieder für den Babymund einsetzbar sein. Ja, aber er war vergessen worden. Das Wasser kochte und kochte und wurde weniger und immer weniger. Der Nuckel lag auf dem Boden und wurde heißer und heißer, zog sich zusammen. Der Topfboden fing an zu glühen, der Nuckel auch. Er entzündete sich. Eine Flamme schlug auf, groß genug, die Dunstabzugshaube zu erreichen. Mit ohrenbetäubendem Lärm riss mich der Rauchmelder aus den Federn, ich eilte zur Küche und sah die Flammen. Gerade noch rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern! Der Predigteinstieg lief darauf hinaus, auf ein gutes Wort zu hören - es zu befolgen. Und dass es wichtig ist, auf Gottes Wort zu hören – eben damit unser Leben nicht in einer Katastrophe endet. Die Zeitungsausträger sind früh am Morgen unterwegs in unseren Orten. Schon weit vor Sonnenaufgang gehen sie von Haustür zu Haustür. So auch in Ruhlsdorf, wo die Kirche mitten im Ort steht. Der Frau fiel auf, dass aus der Kirche ein Lichtschein kam. In solcher Herrgottsfrühe, zu solch „unchristlicher Zeit“, so gegen 4.30 Uhr, doch recht ungewöhnlich. Sie hat es nicht für sich behalten, sondern einem Ruhlsdorfer Bescheid gegeben. Auch der behielt es nicht für sich, sondern gab es einem weiter, der einen Kirchenschlüssel hat. Und der ist dann losgegangen – und fand, dass eine Kerze am Altar noch brannte. War sie vergessen worden? Hatte sie sich wieder entzündet aufgrund der Restwärme? Die Altarkerze war jedenfalls recht klein geworden, etliche Tage hatte sie schon gebrannt. In der Folge wurden überall die hölzernen Kerzenständer aus den Kirchen verbannt. Aber all´ diese Vorsorge allein hilft nicht! Jedes Jahr zu Ostern bekommen wir aus dem Diest-Hof wunderbare Osterkerzen, reich und sinnvoll verziert und ein großer Schmuck, eine sichtbare Erinnerung auch an die Auferstehungshoffnung: Dass das Licht stärker ist als die Dunkelheit, der Tod durch Jesus Christus besiegt ist. Und ein Sichtbarmachen der Verbundenheit der Kirchengemeinden mit dem Diest-Hof als einem Ort tätiger Nächstenliebe. Zum Osterfest entzündet leuchten die Kerzen dann normalerweise zu allen Gottesdiensten, das ganze Jahr hindurch. Sie sind dick und rund, so dass sie das gut schaffen: Auf dem Klavier in der Seydaer Winterkirche kann man eine ganze Galerie von Osterkerzen aus vielen Jahren bewundern. Jedes Jahr werden sie anders gestaltet. Eine Kerze in Ruhlsdorf aber hat es nicht geschafft, sondern andere Wirkung hinterlassen. Auch sie brannte nach einem Gottesdienst noch weiter. Direkt unter dem großen hölzernen Kreuz stand sie in der Mitte des Altars, auf einer schönen weißen Tischdecke, die über den Altaraufbau aus Holz gelegt war. Sie brannte und brannte, Tage und Nächte – alle vierzehn Tage nur ist ja in diesem Dorf Gottesdienst. Als ich wieder an einem Sonntag in die Kirche kam, wunderte ich mich: „Wo ist die Osterkerze?“ An ihrer Stelle war ein kreisrundes Loch in die Decke gebrannt – kreisrund, keinen Zentimeter darüber hinaus, der Rest der Decke war unversehrt. Und auch im hölzernen Untergrund setzte sich das fort: kreisrund, etliche Millimeter tief – durchgebrannt. Und nichts weiter! „Gottes Güte ist´s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende!“ Dieser Bibelspruch, der Jahreslosung war – aus ganzem Herzen konnten wir ihn nun erneut sagen und singen. Feuerflammen sind das ganze Jahr über in der Genthaer Kirche zu sehen: Am Altar, sie gehören zum Schnitzwerk und künden von dem Feuer des Heiligen Geistes, der in dieser Kirche am Wirken ist – ähnlich, wie die „Zwiebeltürme“ der orthodoxen Kirche solche Feuerflammen symbolisieren wollen. Es ist gut, dass die Genthaer Feuerwehr solch gute Verbindung zur Kirche hat. Es ist Tradition – schon seit DDR-Zeiten -, dass die Kameraden im Abstand von mehreren Jahren – zuletzt 2009 – die Balken der Kirche mit neuem Anstrich versehen. Und auch zur Christvesper sind sie natürlich fast vollständig da. Die Genthaer Kirche hat nämlich – bis auf eine Ikea-Stehlampe an der Seite - keine elektrische Beleuchtung, sondern wird am Heiligen Abend von ganz vielen Kerzen erhellt, die sich am Gold des Altars und in den Augen der Besucher spiegeln. Jeder Platz hat auch eine Kerze… In der Morxdorfer Kirche feierte ich am 1. August 1993 um 8.30 Uhr meinen ersten Gottesdienst. Damals hielt man noch in einer Hand das Gesangbuch – und in der anderen, wenn die Lichtverhältnisse schlecht waren, und das sind sie oft wegen der kleinen Fenster – eine Kerze. Allerdings waren vom Superintendenten die Baumaßnahmen schon eingeleitet, so dass die Kirche noch in jenem Jahr elektrifiziert wurde. Aber auch jetzt werden die Bänke, die eben so angelegt sind, dass man etwas vor sich ablegen kann, entsprechend geschmückt. So hat jeder am Platz vor sich etwa zum Erntedankfest Kastanien oder zu Weihnachten Zweige – und natürlich Kerzen. Im Oktober 2015 konnte die Fertigstellung einer großen Sanierung der Mellnitzer Kirche gefeiert werden. Begonnen wurde sie in Eigenleistung – Mellnitzer und eine Gruppe von Gemeindegliedern aus Seattle vom Pazifischen Ozean hatten den Innenraum mit neuer Farbe versehen: die Bänke, die Empore, den Altar und die Wände – bis auf die Ostwand, die aus denkmalschutzrechtlichen Gründen dem alleinigen Zugriff durch Restauratoren vorbehalten war. Und nun wurde auch diese vollendet, dazu Balken, Dach und Turm und Tür – und ein Spielplatz vor der Kirche gehörte auch dazu, seit einem Monat stand er unmittelbar vor der Kirche. Ein großes Werk, eine große Freude: So eine kleine Kirche, eine kleine Gemeinde, aber eine sehr große Bausumme und Hilfe aus der Nähe und aus der Ferne. Im Protokollbuch des Gemeindekirchenrates steht auf der ersten Seite die Verheißung Gottes für sein Volk: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ (Jes 42,3) Nun wurde also dann mit Freude Weihnachten gefeiert, 20 Kinder führten ein Krippenspiel auf – die Maria kam aus Mellnitz, die anderen aus Morxdorf und Seyda. Und am Weihnachtstag geschah es wieder, dass eine Kerze nicht richtig gelöscht war, sondern einfach weiterbrannte. Diesmal war es einfach: Die Decke war frisch, auf der sie stand, die Temperaturen milder als zu Weihnachten üblich, und neben ihr schöne Sträuße mit frischem Tannengrün, dazu das Holzkreuz – alles in der frisch gemalten Kirche. Holz war noch ein wenig dazugekommen, Bildhauer Kuhrmann hatte extra einen neuen Kanzelfuß angefertigt, um die ursprünglich Ausstattung der Kirche wieder herzustellen. Am Silvestertag war der nächste Gottesdienst. „Schon wieder!“ sagten manche. Und es hätte keine Stunde später sein dürfen! Die Kerze war heruntergebrannt, weniger als ein Millimeter trennte den brennenden Docht von der Altardecke. Noch genügte ein kurzes Pusten, und es war um die Flamme geschehen. Wenige Minuten später hätte der Altar in Flammen gestanden, über dem Altar ist eine Holzdecke, mit Ölfarbe bemalt. Die frisch wiederhergestellte „Himmelspforte“ wäre total verrust worden, wenn überhaupt von der Kirche noch mehr als die Grundmauern und ein Häufchen Asche übrig geblieben wäre. Das Jahr, in dem 5 Kirchen im Pfarrbereich saniert werden konnten – beinahe wäre es mit diesem Paukenschlag zu Ende gegangen. Aber: Gott sei Dank! So ist es nicht geschehen. Den ahnungslosen Mellnitzern, die sich auf einen ruhigen Jahresabschluss in der Silvesterandacht freuten, wurde mit einem Schlag neu bewusst, wie sehr wir von Gottes Gnade leben. Geschrieben auf Schloss Mansfeld im Februar 2016.